Auf Augenhöhe

Anton Bruckners 8. Sinfonie mit Hartmut Haenchen und Det Kongelige Kapel ist ein großer Wurf

genuingen18622 Bruckner

Die Sinfonien Anton Bruckners gehören zu jenen Werken, von denen es nicht nur eine Vielzahl von Einspielungen, sondern gleich eine ganze Reihe von Referenzaufnahmen gibt. Mancher findet eine solche bei Sergiu Celibidache mit den Münchner Philharmonikern (1990er Jahre), für andere sind Eugen Jochum und die Staatskapelle Dresden die Referenz (zwischen 1975 und 1980 aufgenommen). Herbert Blomstedt hat gerade seinen Zyklus mit dem Gewandhausorchester abgeschlossen, da fängt sein Amtsnachfolger Andris Nelsons gleich den nächsten an.

Hartmut Haenchen hat in diesem Jahr seine erste (!) Bruckner-CD aufgenommen. Und wie man es gewohnt ist, wendet der Dirigent und Musikwissenschaftler dabei einen vertieften Blick auf Werk und Entstehung. Bei Bruckner ist dies besonders wichtig, schließlich gibt es von seinen Sinfonien doch meist mehrere Fassungen. Welche also wählen? Die ersten sind – wie bei so vielen schöpferischen Gedanken und Werken – oft die ursprünglicheren. Manche Korrektur oder Nachbesserung war vielleicht unglücklich, ein Kompromiß, andere dagegen entsprechen einer Weiterentwicklung. Zu entscheiden, ob eine letzte Fassung die endgültige ist, bedarf es also Kenntnis und Verständnis. Im Falle der achten Sinfonie hat sich Hartmut Haenchen für die zweite und letzte Fassung von 1890 entschieden und stützt sich dabei unter anderem auf Aussagen des Komponisten und seinen Austausch mit dem Uraufführungsdirigenten Hermann Levi.

Manche zeitgenössische Anpassung, mancher freie Umgang von Dirigenten mit dem Werk, entsprangen (damals) dem Wunsch bzw. der Meinung, auch bei Bruckner Richard Wagners Harmonik finden zu wollen, was in der Mode (der Rezeption) zwar erklärbar ist, aber nicht Bruckners Ansinnen entsprochen hat. Hartmut Haenchen hat dies korrigiert.

Die Königliche Kapelle Kopenhagen ist dem Dirigenten seit einiger Zeit verbunden bzw. ist Hartmut Haenchen einer ihrer wichtigsten Gastdirigenten. In diesem Jahr haben beide zum Beispiel die Dresdner Musikfestspiele eröffnet, deren Intendant Hartmut Haenchen einmal gewesen ist. Seine Bruckner-Aufnahme profitiert von einem gemeinsamen Verständnis, das kammermusikalische Klarheit und sauberes Musizieren mit der Erhabenheit und Größe eines Monuments verbindet. Nicht der mächtige Klang ist es, der beeindruckt, sondern die Klangschattierungen, die Haenchen umsetzt – nicht monumentaler Bombast, sondern Musik als beinahe räumlich-zeitlich faßbares Gebilde, ein Urgedanke.

Schon im ersten Satz fallen die Feinheiten auf, die vom Erwachen des ersten Themas bis zum Finale des Allegro moderato führen. Schlanke, helle Bläser lassen die Sinfonie erblühen, die Steigerung führt nicht ins Extatische, sondern zu einem vorläufigen Höhepunkt – daß dem noch etwas folgt, ist klar. Schon hier betören auch die subtilen Feinheiten, etwa in den gezupften Streichern, die Kontraste und Gegensätze formen. Solche Details gibt es im Scherzo noch mehr, das mit einem zarten Trio und zauberhaftem Flötensolo schmeichelt, im ganzen aber fröhlich und drängend bleibt.

Tief romantisch schließt das Adagio an, bevor der vierte Satz pulsierend und energetisch voranschreitend eine Apotheose formuliert – wunderbar, wie die Flöte unterschwellig, aber geradezu elektrisierend einen Herzschlag vorgibt!

Hartmut Haenchen hat Anton Bruckners Sinfonie das Monumentale gelassen, ohne daß sie statisch-gewaltig erscheint. Ganz klar: mit dieser Aufnahme bewegen sich Dirigent und Orchester auf Augenhöhe mit den Referenzen, ganz ohne eine zwanghafte Zykluserwartung zu schüren – wer weiß, vielleicht kommt da noch mehr?

Hartmut Haenchen, Det Kongelige Kapel (Königliche Kapelle Kopenhagen) »Mystery«: Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 8, erschienen bei GENUIN

20. Juli 2018, Wolfram Quellmalz

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