Für Neugierige

4260036254921 Auff die Mayerin

Estnische Pianistin Kärt Ruubel bringt Musik des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts auf dem modernen Flügel zum Klingen

Auch wer die Pianistin und die Noten der gespielten Musik nicht erst befragt oder das Beiheft liest, sondern einfach nur die CD auflegt, wird hier angenehme Überraschungen erleben. Mit dem Klang ebenso wie mit den ausgewählten Stücken.

Die im Mendelssohn-Saal des Leipziger Gewandhaus produzierte CD beginnt mit der Suite d-Moll (HWV 449) Georg Friedrich Händels, also einem Stück, das man durchaus kennt, zumindest ist das Œuvre Händels Suiten kein unbekanntes. Dennoch sind gerade von dieser Suite nur wenige Aufnahmen zu finden, und wenn, dann auf dem Cembalo. Hier klingt sie also vollkommen anders. Derzeit wird die Frage nach dem Instrument (endlich) wieder tiefschürfend betrachtet, wohlgemerkt schon dann, wenn es ausschließlich um moderne Flügel geht. Viele Kollegen bevorzugen zum Beispiel für Stücke der Barockzeit einen großen Yamaha-Flügel, Kärt Ruubel jedoch vertraut Händel, Froberger, Fux und Bach dem Modell D aus dem Hause Steinway an. Nicht kristalline Brillanz ist es, was sie anstrebt, sondern ein weicher, fast milchig schimmernder Ton. Er behält seinen »Silbergehalt«, ist aber vor allem elegant und damit im besten Sinne zeitgemäß – hier spielt jemand beseelt die Musik von früher, aber er (sie) tut es heute.

Durch Händel auf diese Weise eingestimmt kann man sich nun den anderen Stücken nähern. Es folgen drei wirkliche Entdeckungen, denn Partiten oder Suiten von Johann Jakob Froberger oder Johann Joseph Fux hört man im Konzert (und im Radio) so gut wie nie. Beide gehören nicht zum gängigen Repertoire und bleiben damit den Alte-Musik-Spezialisten oder engagierten Kirchenmusikern überlassen. Kärt Ruubel behält auch hier den gediegenen Ton und folgt den Variationen der Partita über das Titelthema »Auff die Maÿerin« (ein Volkslied Georg Greflingers) mit sanft rhythmisch swingendem Anschlag. Eine Courante und eine Sarabande schließen die Partita bzw. Suite ab.

Johann Joseph Fux war ein Nachgeborener Frobergers, dessen Suite bereits zahllose virtuose Elemente schmücken. Schon die Allemande kommt – erneut mit großer Eleganz – nicht ohne solche Ornamente aus, in der Folge umschlingen sich Verzierung, musikalische Themen und die rhythmische Prägung der aus dem Tanz (Ballett) hergeleiteten Satzformen. Kärt Rubel folgt den feinen Linien darin und es fällt auf, daß sie die dynamischen Möglichkeiten des Flügels (über welche das Cembalo gar nicht verfügt) nur sehr bedacht, man möchte fast sagen sorgsam anwendet. Virtuosität um der Virtuosität wegen mit einem »Tusch« am Ende gibt es hier nicht. Das gilt ebenso für die anderen Stücke auf der CD.

Und da verblüfft als nächstes die »Lamentation« (ein Klagegesang) Johann Jakob Frobergers. Verblüffend deshalb, weil das Stück, hört man es zum ersten Mal oder nicht im Zusammenhang mit den anderen Werken, unglaublich modern klingt. Sollte man blind raten, würde mancher die Lamentation wohl einhundert oder gar zweihundert Jahre später vermuten. Sie besticht durch eine ausgeprägte Gesangsstimme und den melancholisch-kantablen Baß.

Mit ihrem Lieblingskomponisten schließt Kärt Ruubel die CD ab. Johann Sebastian Bachs Französische Suite Nr. 2 (BWV 813) ist wohl das einzige Stück auf der Aufnahme, für das es viele Vergleichsmöglichkeiten gibt. Doch auch hier besticht die junge Pianistin mit ihrem ausgewogenen Spiel, mit sinnhafter Agogik und feiner Artikulation – »nobel« kann man diesen Ton nennen, was auf dem Steinway durchaus keine Selbstverständlichkeit ist.

Und wem dann die Frage, ob man Händel, Froberger oder Fux denn auf einem modernen Instrument spielen dürfe, noch unter den Nägeln brennt, dem sei das Beiheft empfohlen, in dem Kärt Ruubel ihren Zugang zu den Stücken einleuchtend erklärt.

Klar darf man. Mit dieser CD dürfte die Pianistin manche puristischen Verfechter alter Instrumente umstimmen. Oder zumindest milde stimmen – eine Ausnahme paßt doch zwischen die Händel-Suiten auf dem Cembalo.

Kärt Ruubel (Klavier) »Auff die Maÿerin«, Werke von Georg Friedrich Händel, Johann Jakob Froberger, Johann Joseph Fux und Johann Sebastian Bach, erschienen bei GENUIN

5. Juni 2018, Wolfram Quellmalz

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