Warten aufs Fest

Dresdner Festspielorchester präsentiert erste CD-Einspielung mit Ivor Bolton und Jan Vogler

Ob Sie nun auf das Weihnachtsfest warten oder auf die nächsten Musikfestspiele – beides steht nicht unmittelbar bevor, doch die Insignien der Ankündigung umgeben uns bereits. Wie schön, wenn es eine »Brücke« gibt, wenn man etwas zur Hand nehmen kann, das mehr ist als nur Abbildung. Die erste CD des Dresdner Festspielorchesters paßt ebenso auf den Gabentisch wie ins Abspielgerät desjenigen, der vom vielleicht eben bei Opus 61 als Geschenk gekauften Stück die Plastehülle abreißt und die CD gleich anhört, statt sie weihnachtlich für seinen Liebsten oder die Liebste zu verpacken – wäre doch sowieso viel zu früh, ein Geschenk zu kaufen, so viele Tage vor dem 23. Dezember…

Das Dresdner Festspielorchester formiert sich seit 2012 alljährlich für die Musikfestspiele aus internationalen Künstlern, die sonst in anderen Originalklangensembles spielen. Die Zeiten, als sich »zeitgemäße« und »historisch informierte« Musiker naserümpfend gegenüberstanden, sind glücklicherweise vorbei. Heute profitieren beide Seiten voneinander – das vibratoarme Spiel ist keine Angelegenheit mehr für Spezialklangkörper, sondern wird ebenso von Staatskapelle und Philharmonie praktiziert. Die Originalklangsucher haben die Musiklandschaft bereichert, die Bedeutung von Authentizität und Individualität ist gewachsen.

Das auf historischen Instrumenten und mit Darmsaiten musizierende Festspielorchester sucht und findet den historischen (soweit man das, da es sich nicht überprüfen läßt, sagen kann), farbenreichen Klang. Doch schließlich geht es nicht ums »Bewahren«, sondern ums lebendig halten. Das Orchesterrepertoire reicht vom 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts – damals spielte man in den Sinfonieorchestern meist noch auf Darmsaiten.

Unter der Leitung von Ivor Bolton konnte das Orchester schon im ersten Jahr Publikum wie Kritiker überzeugen – kein Wunder, daß es jährlich Neuauflagen gibt. Für 2016 strebte man an, diese Augenblicke mit der ersten Aufnahme zumindest teilweise festzuhalten. Eine besondere Idee war es, über das Projekt »99 Funken« via Internet Freunde und Förderer zu werben, welche die CD zu finanzieren halfen.

In der Lukaskirche – einem geschichtsträchtigen Aufnahmeort – wurden wenige Tage vor dem Abschlußkonzert am 5. Juni Robert Schumanns Cellokonzert und seine zweite Sinfonie eingespielt. Was Luftigkeit und Farbe angeht, gibt die CD wieder, was man im Konzert auch erleben konnte: den singenden, beseelten Celloklang, der mit dem samtig-nasalen Ton der Darmseiten noch einmal näher an die menschliche Stimme gerückt ist. Ein zügiges, aber nicht übereiltes Tempo trägt zu dieser Seligkeit bei, das Orchester überzeugt mit warmen Streicherklang und vielen bunten Farbtupfern der Bläser und Pauken. Im Charakter und nicht nur der Tonart (a-Moll und C-Dur) sind beide Stücke sehr unterschiedlich. Sie überzeugen gleichermaßen und überraschen auch mit markanten Affekten. Wunderschön lassen zum Beispiel die Naturhörner im Finalsatz der Sinfonie aufhorchen.

Musikalisch und aufnahmetechnisch gelungen, ist die CD kein nebenbei entstandenes Produkt. Schade nur, daß Sony das Orchester in der Präsentation zugunsten seines Stars zurücksetzt, denn Jan Vogler hat ja »nur« an der halben CD mitgewirkt.

Robert Schumanns Geisteszustand und dessen Bedeutung für seine Kompositionen wird nach wie vor auch von Musikwissenschaftlern diskutiert. Manches seiner Spätwerke mußte darunter leiden und wird zu Unrecht mit spitzen Fingern angefaßt oder mit Skepsis besehen. Schon deshalb sollte man hier zurückhaltend urteilen. Die Diagnose einer »bipolaren Störung« Schumanns im Beiheft (Bernhard Hentrich) erscheint da wenig hilfreich. Doch von solchen die Umhüllung betreffenden Einschränkungen abgesehen verspricht die Aufnahme vor allem großen Hörgenuß und verkürzt die Wartezeit bis zu den nächsten Festspielen.

20. Oktober 2016, Wolfram Quellmalz

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